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Siegfried Heinrich (1935 – 2023)

Vita

  • Geboren in Dresden

  • Musikalische Ausbildung
    Erster Unterricht beim Kantor der Heilandskirche, Johannes Herklotz, später bei Fidelio Finke und Hans Otto (Orgel)
    Vorbereitung auf die Schulzeit im Dresdner Kreuzchor: Theorie und Stimmbildung bei Katharina Lange-Frohberg, anschließend bei Vera Littner und Professor Herbert Meissner
    Schüler im Alumnat des Dresdner Kreuzchores nach dem Angriff auf Dresden (13.2.1945) zunächst in der Notunterkunft Dresden-Plauen, dann in Dresden-Blasewitz; schon als 12-Jähriger war er Leiter von Gruppenproben sowie Klavier- und Orgelbegleitung des Kreuzchores (u. a. im „Weihnachtszyklus“ der Kruzianer), herausragende Würdigung der musikalischen Leistungen des Schülers durch Kreuzkantor Prof. Rudolf Mauersberger
    Im Abiturjahr 1953 Student der Kirchenmusikschule Dresden, nach dem Abitur scheiterte der Versuch, an einer der Hochschulen der DDR in der Dirigenten- oder Kirchenmusikklasse zu studieren
    1954 Übersiedelung nach Frankfurt/M., Studium an der Musikhochschule Frankfurt als Stipendiat des Landes Hessen
    Ausbildung in der Orgelklasse (Prof. Helmut Walcha) und Chorleiterklasse (Philipp Reich), in Komposition (Prof. Kurt Hessenberg), in der Cembalo-Soloklasse (Prof. Helmut Walcha und Prof. Maria Jäger-Jung), Klavierklasse (Prof. Karl Weiß) und Dirigentenklasse (GMD Karl Maria Zwißler); weitere Anregungen durch Kurt Thomas, Martin Stephani, Georg Solti und Günther Wand

Musikalische Tätigkeiten:

  • Kassel 1961–1977 Dozent an der Musikakademie, danach Gesamthochschule Kassel, Leitung der Dirigenten- und Cembaloklasse sowie des Chores und Orchesters der Akademie

  • Bad Hersfeld 1961–2000 Kirchenmusikdirektor an der Evangelischen Stadtkirche Bad Hersfeld
    Gründung einer Reihe von musikalischen Institutionen:
    • Hessisches Kammerorchester Frankfurt (1957)
    • Studio für Alte Musik und Alte Oper (1957)
    • Bad Hersfelder Festspiel- und Saisonkonzerte (unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, alljährlich zwischen 1961 und 2015)
    • Bachtage, heute „Internationale Bachtage in Hessen und Thüringen“ (alljährlich um Ostern zwischen 1974 und 2015)
    • Opernfestspiele in der Stiftsruine Bad Hersfeld (unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, alljährlich zwischen 1980 und 2015)
    • Bachinstitut und -Chor Frankfurt/M. e.V. (2000–2019)
    • Einweihung des J. S. Bach-Hauses als „Musische Bildungsstätte“ in Bad Hersfeld (2004)

  • Konzertreisen im In- und Ausland, gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland, das Land Hessen, Sponsoren und durch zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer

  • Chorarbeit: überregional und international:
    • Bad Hersfelder Festspielchor (1961–2019, Gründer und künstlerischer Leiter)
    • Frankfurter Konzertchor (1969–2019, Gründer und künstlerischer Leiter)
    • Marburger Bachchor (1966-1970)
    • Chor der Musikakademie Kassel (bis 1977)
    • Marburger Konzertchor (1970–2019, Gründer und künstlerischer Leiter)
    • Frankfurter Madrigalensemble (vereinigte Kammerchöre aus Bad Hersfeld, Frankfurt und Marburg)
    • Rundfunkchöre: Krakau, Prag, Zagreb
    • Knabenchöre: Bad Tölzer Knabenchor, Posener Knabenchor („Polnische Nachtigallen“), Kiewer Knabenchor

Orchesterarbeit

  • Gastdirigent
    Radiosinfonie-Orchester Frankfurt, Hannover, Luxemburg, Kattowitz, Krakau, Prag (seit 1991), Straßburg, Warschau, Zagreb, Sinfonisches Orchester Berlin, Brünner Philharmonie, Budapester Sinfonie-Orchester MAV, Orchester des Staatstheaters Kassel, Orchester des Teatro la Fenice Venedig, Stuttgarter Philharmoniker, Nürnberger Sinfoniker, Virtuosi Brunenses u. a.

  • Konzerte im Inland (Alte Oper Frankfurt/ M., Jahrhunderthalle Hoechst, Dresden, Erfurt, München, Hannover u. a.) und im Ausland (Italien, Spanien, Frankreich, Jugoslawien bzw. Kroatien, ČSSR bzw. Tschechien, Polen, Finnland, Niederlande, Schweiz)

  • Mitwirkung bei Internationalen Festspielen in Wratislavia Cantans, Helsinki-Festival, La Cuenca-Festival, Festival zur Einweihung der Semperoper in Dresden (Monteverdi L’Orfeo und L’Incorazione di Poppea sowie in der Alten Oper Frankfurt/ M.)

  • Rundfunk- und - von zahlreichen Konzerten (auch als Live-Sendungen)

    TV-Mitschnitte:
    J. S. Bach: Johannespassion in La Cuenca (Spanien), L. Spohr: Die letzten Dinge in Zagreb (Jugoslawisches Fernsehen), Cl. Monteverdi: Marienvesper in Budapest (Ungarisches Fernsehen und ZDF), J. S. Bach: Weihnachts-Oratorium in Prag (Tschechoslowakisches Fernsehen), W. A. Mozart: Requiem (Polnischer Rundfunk Kattowitz, Tonhalle Zürich), H. Berlioz: Requiem (Veithsdom Prag, Radio Prag), A. Honegger: Johanna auf dem Scheiterhaufen, G. Mahler: Das klagende Lied (Live-Mitschnitte aus der Alten Oper Frankfurt/ M.), G. Ph. Telemann: Lukas-Passion (Radio Française, Paris) u. v. a.
    Tonträger-Aufnahmen von folgenden Werken:
    J. Ockeghem: Missa cuiusvis toni, Cl. Monteverdi: Marienvesper, J. S. Bach: 4 Orchestersuiten, h-Moll-Messe, Weihnachtsoratorium, Johannespassion, A. Dvořák: Stabat mater, F. Liszt: Die Legende von der Heiligen Elisabeth, J. Brahms: Ein deutsches Requiem, A. Bruckner: 4. Sinfonie, G. Mahler: Das klagende Lied, Kindertotenlieder, F. Schubert: Sinfonie h-Moll „Die Unvollendete“, A. Honegger: Johanna auf dem Scheiterhaufen, B. Britten: Noahs Flut u. a.
    Videoaufnahmen von Opern:
    Cl. Monteverdi: L’Orfeo, L’Incorazione di Poppea; W. A. Mozart: Die Entführung aus dem Serail, Die Hochzeit des Figaro, Don Giovanni, Cosi fan tutte, Die Zauberflöte; C. M. von Weber: Der Freischütz; G. Verdi: Nabucco, Der Troubadour, Aida, Don Carlos, Rigoletto; G. Bizet: Carmen; R. Wagner: Der fliegende Holländer; L.v. Beethoven: Fidelio

Verdienste Siegfried Heinrichs um Kultur und Soziales

Interpretationen
Siegfried Heinrich gilt nach Meinung von Kritikern, u. a. der FAZ, der Frankfurter Neuen Presse und der Neuen Züricher Zeitung, als herausragender Interpret der Musik vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Das Repertoire, das er mit seinen Chören einstudierte, umfasste Werke von Ockeghem über Monteverdi, Bach, Mozart, Brahms, Britten bis hin zu Honegger und Penderecki.

Einrichtungen
Eigene Einrichtungen von Werken Monteverdis (die Opern L’Orfeo, L’Incorazione di Poppea und Ulisse sowie die Marienvesper), von Orlando di Lassos Matthäus-Passion, Bachs Kunst der Fuge und Carissimis Rappresentazione di anima e di corpo erlebten Aufführungen in vielen europäischen Ländern sowie bei der Einweihung der Alten Oper Frankfurt/ M. (1980) und der Semperoper Dresden (1985).

Ur- und Erstaufführungen
Heinrich leitete auch Ur- und Erstaufführungen von Werken zeitgenössischer Komponisten, z. B. von Pendereckis Lukas-Passion in München (1967), Frankfurt/ M., Marburg, Bad Hersfeld, Kassel und Hannover.

Festspielkonzerte
Von 1961 bis 2015 war Heinrich Künstlerischer Leiter der „Festspielkonzerte“, ab 1980 auch von ihm gegründeten „Opernfestspiele in der Stiftsruine in der Stiftsruine Bad Hersfeld“. Sie fanden statt in einem der größten romanischen Baudenkmäler Mitteleuropas, einem Ort von einzigartiger Ausstrahlung, der Publikum aus aller Welt anzieht. Mehr als 30.000 Besucher waren jedes Jahr begeisterte Hörer der Festspielkonzerte und der Opernfestspiele.

Für den Deutschen Musikrat formulierte es Prof. Dr. A. Eckhardt so: „Es steht außer Frage, dass diese künstlerischen Aktivitäten nicht nur für die Region und das Land Hessen eine bedeutende kulturelle Ausstrahlung haben, sondern darüber hinaus kulturpolitische Akzente gesetzt haben, die diese Festspiele wesentlich von ähnlichen Veranstaltungen unterscheiden. So ist es gerade aus der Sicht des Deutschen Musikrates hervorzuheben, dass es wohl keine Veranstaltungsreihe gibt, die in einem solchen Umfang und auf einem solchen Niveau den künstlerischen Nachwuchs berücksichtigt. Die Veranstaltungen zeichnen sich auch dadurch aus, dass Künstler aus Ost- und Westeuropa zusammengeführt werden. In einer solch konsequenten Weise wird diese übergreifende europäische Zielsetzung nur selten verwirklicht“.

Aufbauarbeit und Musik als Mittel
In der Arbeit mit seinen Chören legte Heinrich Wert auf die kontinuierliche musikalische Weiterbildung seiner Sängerinnen und Sänger. Integraler Bestandteil waren dabei Stimmbildung und Sprecherziehung, die unter Mithilfe von Solisten und Assistenten durchgeführt wurden. Menschen unterschiedlichster Alters- und Berufsgruppen sowie Gesellschaftsschichten waren in den Chören vereint. Bei den Aufführungen arbeitete Heinrich gern auch mit Orchestern und Chören aus den ehemaligen Ostblockländern zusammen, zu denen oft schon lange vor der „Wende“ gute Beziehungen bestanden.

Christa Heinrich
Entscheidenden Anteil an diesen Aktivitäten hatte Siegfried Heinrichs Ehefrau Christa, die über viele Jahre Jugend- und Kinderchöre leitete. Dafür wurden ihr 1999 das Bundesverdienstkreuz und die Philipp-Nicolai-Medaille der Landeskirche Kurhessen-Waldeck verliehen. Beide setzten sich für eine gezielte Förderung der musikalischen Jugend ein.

Ökumene
Anerkennung verdient zudem das Engagement Heinrichs für die ökumenische Idee. Katholische Chöre, z. B. aus Fulda und Hünfeld, gestalteten evangelische Gottesdienste in Bad Hersfeld. Bei Monteverdis Marienvesper bot die Schola des Fuldaer Doms wertvolle Unterstützung. Geistliche der evangelischen Bad Hersfelder Stadtkirche unterstützten diese Arbeit in hohem Maße.

Orgeln, Glocken, Glockenspiel
Heinrichs Engagement betrifft aber nicht nur die Musik, seine Aktivitäten haben Bedeutung für das ganze Land Hessen. Auf seine Empfehlung hin wurden für die Stadtkirche Bad Hersfeld zwei viel gerühmte Orgeln gebaut: die große dreimanualige Döring-Orgel mit 57 Registern (1974) und die zweimanualige Bachorgel des Orgelbaumeisters Tzschöckel in historischer Stimmung mit 11 Registern (1987). Sie setzen wesentliche Akzente im kulturellen Leben der Stadt. Heinrich regte außerdem die Überführung zweier Glocken aus dem Katharinenturm der Stiftsruine in die Stadtkirche Bad Hersfelds an. Dadurch entstand das größte mittelalterliche Geläut Hessens. Zudem fand er wie beim Orgelneubau Sponsoren für ein Glockenspiel an der Stadtkirche und für die Neuaufhängung der vermeintlich gesprungenen Lullusglocke von 1031 im Katharinenturm, einer der wenigen romanischen Glocken Deutschlands aus der Frühzeit des Glockengusses, die nun wieder an hohen Feiertagen erklingt.

J. S. Bach-Haus
Der Neubau des architektonisch und akustisch hervorragend gelungenen „J. S. Bach-Hauses“ ist ebenfalls ihm zu verdanken. Es konnte 2004 errichtet werden, empfohlen vom Präsidium des Deutschen Musikrates und mit Hilfe des Landes Hessen, des Kreises Hersfeld-Rotenburg sowie der Stadt Bad Hersfeld. Auch für das Glockenspiel gelang es Heinrich Sponsoren zu finden, das zu jeder Stunde das musikalische Anagramm B-A-C-H erklingen lässt. Alljährlich steht das Bachhaus acht Monate als „Musische Bildungsstätte“ Solisten, Chören und Orchestern aller Nationen zur künstlerischen Arbeit und vier Monate für die Bad Hersfelder Theaterfestspiele zur Verfügung.

Soziale Hilfe für Osteuropa
Auch für soziale Projekte gab Heinrich Anstöße. Durch tatkräftige Unterstützung von Sponsoren und ehrenamtlichen Mitarbeitern konnten Hilfsaktionen in Osteuropa durchgeführt werden, indem Menschen mit Nahrungsmitteln, Kleidern und Medikamenten versorgt wurden, um zu helfen, schwere Krisenzeiten zu überstehen. Hier ist besonders die großzügige Hilfsbereitschaft der Pharmawerke Hoechst und der vormaligen „Behringwerke“ in Marburg zu rühmen. Auch durch den Versand von Notenmaterial konnten zahlreiche neue Verbindungen geknüpft und gefestigt werden.

Oratorien-Konzerte
In Hessen fanden viele Konzerte statt in Frankfurt/ M. (in Kirchen, in der Alten Oper, im Großen Rundfunksaal des Hessischen Rundfunks), in Bad Hersfeld (Stadtkirche, Stiftsruine, Stadthalle u. a.), Kassel (Kirchen, Stadthalle), Oberkaufungen, Hoechst (Jahrhunderthalle), Fulda (Petersberg, Schloss Fasanerie), Rüsselsheim (Stadttheater), Bad Homburg (Schlosskirche, Stadttheater) und an anderen Orten.

Gastspiele führten die Chöre auch nach Thüringen (Erfurt, Weimar) und Sachsen (Dresden, Leipzig) sowie ins Ausland (u. a. Paris, Zürich, Helsinki, Zagreb, zuletzt nach Kattowitz, Krakau, Breslau und mehrmals Prag).

Siegfried Heinrich erhielt für seine künstlerischen Tätigkeiten folgende Würdigungen:

  • Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1976)

  • Goethe-Plakette des Landes Hessen (1983)

  • Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1988)

  • Ehrenplakette der Stadt Bad Hersfeld (1990)

  • Martinsplakette der Ev. Landeskirche Kurhessen-Waldeck (1995)

  • Otto-Ubbelohde-Preis für Kultur des Landkreises Marburg-Biedenkopf (1996)

  • Ehrennadel der Stadt Marburg zum 30-jährigen Jubiläum des Marburger Konzertchores (2000)

  • Philipp-Nicolai-Medaille in Gold der Evangelischen Landeskirche Kurhessen-Waldeck (2004)

  • Gustav-Mahler-Preis der European Union of Arts in Prag (2005)

  • Ernennung zum Professor h.c. des Landes Hessen durch den Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/M. (2006)

  • Verleihung des Hessischen Verdienstordens (2014)
  • Ehrenplakette des Landkreises Hersfeld-Rotenburg (2020)

Text: Dr. Erich Zimmermann, Marburg (2020 aktualisiert und gekürzt)